Poesie der Befreiung
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Henry-Martin Klemt

 





Ausgewählt

Aus den bisher erschienenen Büchern von Henry-Martin Klemt sind hier ausgewählte Texte zu finden. 

 

Flatterherz

 

 

Orchidee vor schwarzem Hintergrund Foto: Henry-Martin Klemt


Schläfriges Sonett

Für Rita


Heute Nacht mit dir zu schlafen,
gibt es einen guten Grund,
dass die Zeiten nämlich krank sind
und wir beide sind gesund.
Einundzwanzig Finger bringen
unsre Haut zum Singen und
die Quadriga deiner Lippen
öffnet sich für meinen Mund.

Von der Stirne langsam abwärts
oder aufwärts von den Zehen
Taste ich zu deiner Mitte
und bleib lange davor stehen.
Dir genügt es, mich zu spüren,
mir genügt es, dich zu sehen.
Wie zwei Abendwinde sind wir,
die sich ineinander drehen.

Was hier zählt, ist nicht Berechnung.
Eins und eins war einmal drei.
Jetzt ist leer das Kinderzimmer,
also lass den Habicht frei,
dass er aufsteigt durch das Fenster
bis zum Mond mit seinem Schrei
und ich spüre seine Krallen
auf dem Schulterblatt dabei.

Eins und eins ist eins geworden
und fällt müde in die Kissen.
Wenn du vor mir einschläfst, Liebste,
werd ich länger dich vermissen...



Das Licht des 13. Mondes

Man an einem Straßenschild Foto: Archiv Klemt


Äthiopisches Tagebuch


Dreißig Jahre sind vergangen. Die Volksdemokratische Republik Äthiopien gibt es nicht mehr. Die Deutsche Demokratische Republik ist der Bundesrepublik Deutschland beigetreten.Die Staatsfarmen, auf denen wir während der Erntekampagne 1987 halfen, waren ein Teil des landwirtschaftlichen Programms der Regierung von Mengistu Haile Mariam in einem Land, in dem trotz internationaler Hilfe drei Millionen Menschen akut vom Hungertod bedroht waren. Auch heute gehört Äthiopien zu den ärmsten Ländern der Erde.

Wir, das war die neunte Brigade der Freundschaft Werner Lamberz der Freien Deutschen Jugend, ein gutes Dutzend junger Arbeiter und Ingenieure, ein Brigadier, ein Dolmetscher und ein Schriftsteller. Es war ein Luxus, den die Deutsche Demokratische Republik, den der Zentralrat der Freien Deutschen Jugend sich leistete: Dort, wo
Internationalismus gelebt, Solidarität geübt wurde, sollten auch Künstler, Musiker, Schreibende hin.

Die Spezialisten vor Ort lernten auf diese Weise die Arbeit von Kunstschaffenden kennen. Die Kreativität rieb sich an der oft harten körperlichen Arbeit und den Protagonisten der großen Jugendobjekte. Aus Weltansage wurde für Arbeiter wie Künstler durch solche Aufenthalte Weltanschauung.

Rauskommen aus der Deutschen Demokratischen Republik war neugierigen Menschen ein Wert an sich, für den sie manche Unbequemlichkeit gern in Kauf nahmen. Die Aussicht, einen schmalen Teil ihres Budgets in Devisen transferieren zu können, spielte als Motiv ebenfalls eine Rolle, wenn auch eine weniger vordergründige, als vielleicht vermutet. Bedingung für die Mitgliedschaft in der FDJ-Freundschaftsbrigade Werner Lamberz war, daß ich selbst Teil der Brigade bin, dass ich ebenso wie die Landmaschinenschlosser und Ingenieure mitarbeite.

Ich wollte die Wahrheit schreiben und habe das, so gut ich es konnte, getan. Niemand hat mir hereingeredet dabei. Es hat mich auch niemand mit Mißtrauen geplagt oder sich selbst das Maul verboten aus Sorge, etwas Falsches zu sagen. Wir waren alle, bis auf den Brigadier, zwischen Anfang 20 und Anfang 30. Diejenigen, die zum ersten Mal nach Äthiopien kamen, begegneten nicht nur einer fremden, überwältigenden Landschaft, sondern auch einer fremden Kultur. Sie erlebten nicht nur Gastfreundschaft und Herzlichkeit, sondern auch Lebensverhältnisse, die oft kaum zu verstehen und nicht auf Anhieb zu bewältigen waren.

Was wir vorfanden, legte den Schluß nahe, daß es vielleicht gar nichts würde mit dem Ethiopa Tikdem – Äthiopien voran, so vom Feudalismus zum Sozialismus springend. Und bei dem, was wir an den Füßen mitschleppten, der eigenen Heimat, meldete zwar niemand laute Zweifel an, aber wie tief sich Opportunismus und Resignation schon bei den jungen Leuten gefressen hatten, auch wenn sie selbst oft in mehreren gesellschaftlichen Funktionen tätig waren, das ließ sich schlecht übersehen. Wie weit Ideologie und Leben auseinanderklafften und wie schwer es war, diese Kluft im Alltag zu überwinden, das war an den Ufern der Saale so deutlich, wie an denen des Wabe Shebele.

Ich kam nach diesem viertel Jahr anders nach Hause, als ich mich auf den Weg gemacht hatte. Ich hatte auch, indem ich Verantwortung übernahm, mehr von der Verantwortung erfahren, die wir füreinander haben, in einer Brigade und in der globalisierten Welt. Das, glaube ich, ist es auch, was dieses Buch aktuell macht.



Ungeduldig ist das Leben

Hand an einem Steuerrad Foto: Maik Altenburg


Papierschiffchen-Lied


Ich muss noch einmal auf die Reise gehn
von mir zu mir, um heimzukommen,
von bösen Riesen und von guten Feen
gejagt und in den Arm genommen.

Mein Schatten lehnt noch an der Kellerwand.
Hilft mir, die Leichen rauszutragen.
Die haben auch ein Stückchen Heimatland.
Dort werde ich sie jetzt begraben.

Die Brücken lass ich stehen hinter mir.
Sind noch so viele auf dem Wege.
Ich steige auf mein Schiffchen aus Papier,
wo ich mich in die Koje lege.

Mein Notquartier, mein Admiralspalast,
zum Sterben schön und zum Verlieben.
Vom Kiel hab ich es bis zum höchsten Mast
bis heut mit eigner Hand beschrieben.

Damit ich lesen kann, wer mich verstieß
und wer mich jämmerlich verraten,
wer mich geliebt hat und dann doch verließ
und wie ich warten lernte, warten.

Wer mich erkannte und wem ich vertraut,
wohin mich führten all die Straßen.
Wann wir den Baum gepflanzt, das Haus gebaut
und mit dem Sohn am Feuer saßen.

Und was ich aufzuschreiben nicht vermocht,
steht trotzdem zwischen meinen Zeilen,
wie ich mit Freunden wie mit Feinden focht
und Wunden schlug, die nicht verheilen.

Hier sang ich leise den Piratenblues,
wenn es auf Biegen ging und Brechen.
Auf meine Narben ließ ich mir Tattoos
mit Anker, Herz und Rose stechen.

Hier kann ich Sterne sehn. Das Meer hält still.
Der Sturm ist Herr. Der Wind ist Diener.
Doch jeder Mann, wenn er nach Hause will,
muss durch die Straße von Messina.

Als Souvenir bring ich ein Zähnchen mit.
Das hat sich Skylla ausgebissen
als ich mit meinem Schiff vorüber ritt.
Mehr wollt ihr gar nicht davon wissen.

Ich muss noch einmal auf die Reise gehn
von mir zu mir, um heimzukommen,
von bösen Riesen und von guten Feen
gejagt und in den Arm genommen.



Demnächst...


Gedichte

aus einem neuen Band